Braunschweiger Zeitung
Mit kleiner Schelle zum großen Erfolg
Wie der Handwerker Peter Brandes aus Klein Ilsede eine Marktlücke fand und zur Geschäftsidee machte.
Von Jacqueline Carewicz
Von Jacqueline Carewicz
Brandes sitzt auf einem Schemel im engen, fensterlosen Raum seines Einfamilienhauses, dessen Regale bis unter die Decke mit Dingen befüllt sind, die ein Elektroinstallateur braucht: Kabel, Werkzeuge, Klebeband … Solange er mit der Rechten auf den Schalter an der schmalen Werkbank drückt, purzeln kleine weiße Schellen aus der selbst gebauten Abfüllanlage in einen Beutel.
"Hundertundeins", triumphiert er beim Blick auf die elektronische Waage, auf der der Kunststoffbeutel in einer gebogene Draht-Halterung liegt. Nicht schlecht. Hundert hätten es sein müssen. Immer hundert Mauernut-Schellen in einem Beutelchen. Tüte zu, Etikett drauf, nächster Beutel. So geht’s tagaus, tagein. Gelegentlich muss die Familie mit ran. 2000 Tüten am Tag. "Da bekommt man langsam das Feeling für die richtige Menge", sagt Brandes. Omega-Mauernut-Schellen nennt er seine Erfindung, weil die Plastik-Schellen, mit denen man Elektroleitungen in gefrästen Mauerschlitzen befestigt, dem griechischen Buchstaben so ähnlich sind, also wie ein Hufeisen aussehen.
Und mit diesen winzigen Dingern verdient Brandes jetzt einen Haufen Geld. Kaum zu glauben! "Wieso, da musste eben nur einer drauf kommen", schmunzelt sich der drahtige Fuffziger mit dem vollen weißen Haar in den gepflegten Seemannsbart. "Wenn Handwerker zu Erfindern werden, liegt es meistens daran, dass sie ihre eigenen Arbeitsbedingungen verbessern wollen", hat er auf seine Internetseite geschrieben. So war das letztes Jahr auch bei Brandes. "Die Geschäfte liefen gar nicht gut", erzählt er. Der einstige Elektro-Betrieb mit 13 Leuten war gehörig geschrumpft. "Kaum Aufträge." Bei einer Altbausanierung in Braunschweig fiel dann irgendwann der Groschen.
Brandes kaufte sich eine Mauernutfräse, mit der er zwölf Millimeter breite Schlitze ins Mauerwerk fräste. Anschließend befestigte er die Elektroleitungen dort mit handelsüblichen Nagelschellen. Eine Viecherei! Das Nageln dauerte lange und stellte ihn vor etliche Probleme: An einigen Stellen konnte er keine Nägel eingeschlagen, weil der Stein zu hart war. An anderen war der Untergrund so porös, dass die Nägel nicht hielten.
Alternative Befestigungsmöglichkeit gab’s nicht. Darum erfand Brandes seine eigene nagellose Schelle. "Ich habe ein PVC-Rohr genommen, es in der Mitte aufgeschlitzt, eine Scheibe abgeschnitten und an den Seiten umgekrempelt", beschreibt er. Um den Kunststoff biegen zu können, behalf er sich mit einem Heißluftfön. Das war natürlich mühsam, aber die Dinger hielten. Die Kabel ließen sich nun einfach mit der Schelle in den Mauerschlitz drücken und waren wegen der umgebogenen Krallen so gut verankert, dass sie sich nicht herauslösen konnten. Einfach so, ohne Nageln. Da musste nur einer drauf kommen.
Von der Handwerkskammer bekam Brandes den Kontakt zum Erfinderzentrum Norddeutschland. Die prüften, ob es eine vergleichbare Schelle irgendwo auf der Welt schon gab. Fehlanzeige. Brandes bekam die Höchstförderung des Zentrums, 75 Prozent der Patentanmeldungskosten, und besitzt seither all e Rechte an seiner Erfindung.
Oliver Goedecke, Werkzeugmachermeister aus Remlingen im Landkreis Wolfenbüttel, baute für Brandes ein Prototypenwerkzeug aus Aluminium, die Gussform für die ersten Schellen. Der Elektromeister fand einen Betrieb, der die Schellen heute en gros herstellt. Und jetzt kommt’s: Sie gehen weg wie warme Semmeln. Hand- und Heimwerker, Großhändler und Fräsmaschinenbauer sind "ganz wild darauf".
"In sechs Wochen haben wir über eine Million Stück verkauft. Ich komme mit dem Verpacken kaum hinterher", wirkt Brandes stolz und erstaunt zugleich. Und dann wieder selbstbewusst: "Nein, der Erfolg überrascht mich nicht. Ich habe die Schellen ja selber ausprobiert." Im nächsten Jahr braucht er eine Halle für die Verpackung der Schellen, die die Einbecker Firma Kunststoffverarbeitung Siebrecht-Borchert in Säcken liefert. "Wir stellen bestimmt drei Leute ein", meint Brandes. Dann hat er auch keine Lust mehr, Tag und Nacht Schellen abzufüllen.
Es gibt auch so viel zu tun: Aufträge bearbeiten, werben, verhandeln. "Sie glauben gar nicht, wer hier alles auftaucht", sagt er. Eine Firma habe ihm das Patent abkaufen wollen, für 120 000 Euro. "Das ist ja wohl ein Witz." Eine andere habe ihm Kontakte nach China vermitteln wollen. Aber: "Nee", so Brandes, "wir produzieren in Deutschland." (Quelle: Braunschweiger Zeitung)